14. Juni 2014

Den Letzten beißt die Türe tot

Ich sitze mal wieder fast zwei Stunden zu früh in Berlin Tegel und trinke ein überteuertes Bier. Klassiker eigentlich. Beim Fliegen ist es bei mir so, dass ich entweder meinen Flug verpasse, oder völlig abgehetzt, einige Stunden zu früh, vor dem Gate sitze und mich darüber ärgere, warum zur Hölle ich eigentlich so sinnlos früh los bin. Die Antwort kenne ich allerdings schon lange. Ich bin ein mittelmäßig neurotischer Kontrollfreak. Ich gehe manchmal morgens mehrmals zu meiner Wohnungstür zurück, um zu checken, ob ich auch wirklich abgeschlossen habe. Nicht, dass ich es schon jemals vergessen hätte. Genauso chronisch malträtiere ich von innen mein Türschloss drei bis vier Mal, bevor ich abends ins Bett gehe. Es muss abgeschlossen sein. Ich habe den Zwang, gegen meine Kühlschranktür drücken zu müssen, bevor ich die Wohnung verlasse. Ich rede mir ein, dass ich es tue um Wohnungsbrände zu vermeiden (lange Geschichte!), aber die Wahrheit ist, ich tue es, weil es ein Tick ist; ein Kontrollzwang. Ich hasse Risiken wie die Pest. Das Risiko, sich auf einen neuen Menschen einzulassen, das Risiko, mit einer fremden Frau nachhause zu gehen, und das Risiko sich normal pünktlich auf den Weg zum Flughafen zu begeben. Alles purer Horror für mich. Letzteres hat aber zumindest ein Gutes. Ich muss jetzt irgendwie Zeit überbrücken und komme so endlich mal wieder dazu, ein wenig zu schreiben.

Das mit meiner fehlenden Risikobereitschaft war nicht immer so, bilde ich mir ein. Es scheint im Laufe meines Lebens langsam zugenommen zu haben. Früher war ich anders. Da bin ich mir jedenfalls relativ sicher. Als ich vor 15 Jahren nach Berlin kam, zog ich in eine Wohngemeinschaft mit einer meiner Ex-Freundinnen und ihrem aktuellen Boyfriend. Damals muss ich so ängstlich wie ein römischer Gladiator gewesen sein. Ich meine, HALLO!! Wie todesmutig kann ein Mensch denn noch sein? Mit einem Pärchen zusammenzuziehen ist ja schon aus der Abteilung 'Extremsport für Lebensmüde', aber dann auch noch mit einer Exfreundin? Dagegen ist Bungee-Jumping ja eine Entspannungsübung, oder was? …Nun ja... Gut überlegt war es zumindest nicht, soviel kann ich verraten. Aber es war auch irgendwie lustig. Mit besagter Frau habe ich jedenfalls, im Gegensatz zu fast allen anderen meiner Verflossenen, noch Kontakt; und sogar ziemlich guten. So guten, dass sie mich vor ein paar Wochen zu einer kleinen Party zu sich und ihrem neuen Lebensabschnittsgefährten einlud. Eigentlich hasse ich Partys von Menschen, die mit ihren Partnern zusammenwohnen. Man kommt sich als Single immer vor, als säße man mit den anderen Singles am Kindertisch, während die Erwachsenen sich über Balkonpflanzen und Küchenmöbel unterhalten; und darüber dass ja jetzt die total richtige Zeit wäre, in Berlin eine Wohnung zu kaufen, von wegen Altersvorsorge und Inflation und so, und dass man ja auch immer noch an ein extra Zimmer für den Nachwuchs denken sollte und so weiter. Man sitzt dann meist da, hört sich den ganzen Dreck an, erinnert sich daran, wie man mit ihr oder mit ihm früher tagelang schlechtes Dope in der Acrylbong geraucht, WORMS-III auf der Playstation gezockt und sich dabei abwechselnd Nutella- und Käse-Toast in den Mund gestopft hat, bis man Bauchschmerzen hatte oder einer eingeschlafen war. Dann fragt man sich, was passiert ist, was sie, er oder man selbst wohl falsch gemacht hat, wie es so weit hatte kommen können. Man hört langsam auf zuzuhören, was beim Immobilienkauf zu beachten ist. Man nickt nur noch interessiert, trinkt immer schneller und hofft, dass der Alkohol endlich anfängt zu wirken.

Da ich die letzten drei Einladungen der beiden Turteltäubchen allerdings bereits ausgeschlagen hatte, inklusive der Einweihungs- und einer Sylvester-Feier, musste ich auf diese Party wohl oder übel gehen. Meine stille Hoffnung bestand darin, dass meine ehemalige Mitbewohnerin zumindest ihren Drogenkonsum in ihr Erwachsenendasein hatte retten können, und daher wahrscheinlich genug Fluchtmöglichkeiten in diversen Aggregatzuständen vorhanden sein würden. Drogenliebhaber schaffen es ab einem bestimmten Alter nämlich gelegentlich ihren Konsum auf eine seltsam spießbürgerliche Art in ihren Kinderwunsch-Einbauküchen-Akademiker-Alltag zu übertragen, und so lag, als ich auf der Party ankam, auch tatsächlich eine bunte Auswahl an Pülverchen und Pillen, angerichtet wie frisches Obst auf kleinen Tellern und Schalen, in der Mitte des riesigen Wohnzimmertisches. Eine bunte Truppe aus Mitt- und End-Dreißigern saß darum herum, nippten an ihren Bierchen, plauderten angeregt und ließen sich von ausgewählter Minimal- und House-Musik aus dem Nebenzimmer beschallen. Ich wurde herzlich empfangen, mit einem Bier bestückt, und eingeladen, mich doch an allem Anderen einfach zu bedienen. Ich lehnte, bis auf das Bier, alles dankend ab. Aus irgendeinem Grund rede ich mir schon mein ganzes Leben ein, keine besondere Affinität zu Drogen zu haben, und werde doch in regelmäßigen Abständen eines Besseren belehrt. An diesem Abend sollte ein weiterer Strich auf diese Liste kommen.

Ich setzte mich zu zwei Mädels, mit denen ich auch sofort ins Gespräch kam. Es war nett, aber weder war eine der beiden attraktiv genug, noch war das Thema spannend genug, um mich auf längere Sicht an meinem Platz zu halten. Ich begab mich also nach einer guten halben Stunde auf einen Rundgang durch die Wohnung. In der Küche angekommen, schnappte ich mir noch ein Bierchen und gesellte mich zu einer Gruppe whisky- und rotwein-schlürfender Mediendesigner, die wie hungrige kleine Kinder um den Herd herum standen und Tierbetäubungsmittel aufkochten. Als ich mich gerade mit dem Hausherren über seine neueste GLENLIVET-Einzelfass-Abfüllung unterhielt, wurden wir von einer jungen Kindergärtnerin mit glasigen Augen und ohne Frisur unterbrochen. „Sag mal, hast du für das Ketamin nix besseres als den Teller?“ platzte sie in unsere Fachsimpelei. „Doch klar. Ich hätte so ne Duftlampe, aber da war schon Öl drin“ antwortete mein neuer Whisky-Freund. „Ach das is doch voll witzig, ey!“ quietschte die junge Pädagogin entzückt „Is bestimmt total lecker! Vanille-Keta! Hihihi.... Vanille-Keta, ey...!“. Ich spürte ihren knochigen, kleinen Ellenbogen in meiner Seite und stellte mir vor, wie die kichernde Frau mit den früchteteefarbenen Strick-Klamotten Montag wieder Kinderlieder im Sitzkreis singen würde. Wahrscheinlich englische oder französische, auf speziellen Wunsch der Eltern. Sicher alles so hochgezüchtete, mehrsprachige Prenzlauerberg-Kinder; mit japanischen Geigenlehrern, Kinder-Joga-Gruppen, niedlichen Retro-Latzhosen und so schönen nostalgischen Namen wie bei der Hitler-Jugend. Aber jetzt kratzte sie erstmal angetrocknetes Pulver vom sonnengelben Ikea-Teller und strahlte, als wäre schon wieder Weihnachten oder der erste Tag der Fusion.

Das Küchen-Grüppchen folgte dem heißen Teller mit den frischen Drogen durch die Wohnung, wie die drei Könige dem Morgenstern und ich trottete als letzter hinterher, um nicht allein in der Küche zurückzubleiben. Im Wohnzimmer begann die Hälfte der Anwesenden sofort mit dem Ketamin-Abendmahl, während ich beschloss, zum hundertsten Mal auszutesten, ob es wirklich, wirklich, wirklich immer noch eine dumme Idee ist, Whisky in Fassstärke und Bier parallel zu trinken. Es war immer noch eine dumme Idee. Der Alkohol tat also das, was er nunmal am besten kann, und so war mein Geist bald willig und mein Fleisch schwach, und als das nächste mal die kleine Platte aus irgendeinem geschnittenen Edelstein mit dem silbernen Röhrchen vorbeikam, fragte ich nur „Was ist das?“.

Die Substanz wurde mir weder als Crystal noch als Ketamin vorgestellt und fiel damit für mein Suff-Hirn inzwischen unter die Rubrik 'Zum Verzehr geeignet'. Der Vorteil an Speed zu Alkohol ist, dass man wieder ziemlich nüchtern wird und noch mehr trinken kann. Der Nachteil an Speed zu Alkohol ist, zumindest nach meinen bisherigen Erfahrungen, dass ich meist absurd gierig nach beidem werde und dazu neige, es in hohen Dosen gegeneinander 'anwirken' zu lassen um herauszufinden, wer gewinnen wird. So gab ich mich also nicht mit einmal Abtauchen zufrieden, sondern fuhr auf dem lustigen Bergkristall eine gute Runde Slalom. Danach besorgte ich mir natürlich mehr Bier, setzte mich zu einer anderen Gruppe an den Tisch und begann das Buffet durchzutesten. Zu meinem neuen Bier servierte man mir ein Tortenstück Ecstasy. Zum nächsten wieder Speed und zum nächsten wieder Ecstasy. Die Zeit begann gefährlich zu rasen. Als ich kurz auf die Uhr sah, war es bereits Fünf. Vor mir saß ein Typ, der mir seit gefühlten Stunden von dem Buch 'Die Kunst des klaren Denkens' vorschwärmte und mir dazu, als ich wieder aufsah, euphorisch eine hellblaue Pille vor die Nase hielt. „Ja, danke“ sagte ich, nahm ihm die Pille ab und segelte damit Richtung Badezimmer. Vor dem Spiegel rief ich mich zur Ordnung, befahl mir, jetzt möglichst schnell die Wohnung zu verlassen, um noch etwas von der Nacht zu haben, vielleicht eine Frau kennenzulernen, zumindest aber diesem Zeitstrudel zu entkommen. Ich spürte, wie Logik und Vernunft in mein Hirn zurückkehrten. Sie sahen sich dort um, und dann gegenseitig lange und erschrocken an. Wie ferngesteuert wusch ich mir das Gesicht, nahm ein Viertel der Pille und steckte den Rest ein.

Auf dem Weg ins Wohnzimmer, nahm ich direkt meine Jacke mit, um gar nicht erst auf dumme Gedanken zu kommen. Ich verabschiedete mich schnell von meiner Ex-Mitbewohnerin, ihrem Boyfriend und dem Mann mit dem 'klaren Denken', winkte einmal in die Runde und verließ die Wohnung. An der frischen Luft erreichte ich ungeahnte Geschwindigkeiten. Die Stadt bewegte sich wie ein Laufband unter meinen Füßen hindurch. Ich setzte meine Kopfhörer auf und war im Handumdrehen an der U-Bahn. Ich fuhr quer durch die Stadt in mein gewohntes 'Revier'. Dort angekommen lief ich drei Clubs ab, aber für die üblichen Locations war es bereits zu früh am Morgen. Also machte ich mich auf den Weg zu einem kleinen Technoschuppen, von dem ich wusste, dass dort mit Sicherheit noch genug los war. Es war inzwischen bereits taghell auf der Straße, aber ich feierte sowieso schon die großartige Musik in meinem Kopf, mich selbst und die Welt. Als mich kurz vor dem Club ein grinsender spanischer Tourist stoppte, nur um mir in schwer verständlichem Englisch ein Kompliment für meinen beschwingten Gang zu machen, bemerkt ich, dass ich mittlerweile mehr tanzte als lief, und das wahrscheinlich auch schon seit der U-Bahn. So ist das also mit dem Selbstbewusstsein. Inner-Game schwappt irgendwann nach aussen, wissen wir ja. Und dass man Inner-Game eben auch durch die Nase ziehen kann, war hiermit erwiesen.

Ich tanzte also noch die letzten Meter bis vor den Club und stellte mich in der warmen Morgensonne vor die wummernde Eingangstür. Der Türsteher blinzelte kurz ins Freie, winkte mich ran und drückte mich dann wie die letzte Dosen-Sardine in den, immer noch brechend vollen, kleinen Club. Die Tür schloss sich wieder und es gab keinen Zentimeter Platz mehr um mich herum. Die Luft war warm, feucht und roch nach Schweiß und Parfum zu gleichen Teilen. Eigentlich musste man sich gar nicht bewegen, die Masse drückte einen einfach weiter und zuckte dazu im Rhythmus. Als ich an der Bar vorbeigeschoben wurde, konnte ich ein Bier ergattern und ließ mich damit weiter bis zur Tanzfläche treiben. Dort strandete ich in der Nähe des DJs, eingeklemmt zwischen einer Gruppe zappelnder Mädchen, einem kleinen Mauervorsprung, einem Barhocker und einem riesigen Typen mit Pumperbrust und V-Ausschnitt bis zum Bauchnabel. Erstmal musste ich dem Gorilla mit meinem nettesten Lächeln klar machen, dass ich nicht vorhatte, ihm Weibchen, Baum oder Status abspenstig zu machen, dann erkämpfte ich mir ein wenig Platz zum Tanzen.

Ich hatte meinen Spaß, freundete mich mit den mich umgebenden Sardinen und dem Gorilla an, und tanzte, bis es langsam leerer im Club wurde. Der letzte Rest eingefangene Nacht entwich mit jedem Mal, das sich die kleine Tür öffnete und die Sonne in den Club schien. Einer nach dem anderen stolperte und schwankte, allein oder in Begleitung, gen Tür und hinaus in den Tag. Irgendwann waren wir zu wenige, die sich weigerten sich, diese Nacht und ihre Suche nach irgendwas oder irgendwem, aufzugeben. Das Licht ging an und der DJ legte die letzte Platte auf. Als dann auch noch die Musik der seltsamen Mischung aus Tinnitus, heiseren Stimmen und dem Klirren der leeren Gläser wich, machte sich das finale Grüppchen, gefolgt von meiner Wenigkeit, wiederwillig und kiefermalmend auf den Weg nach draussen. Ich verabschiedete mich vom Türsteher und stolperte als einer der letzten aus dem Club. Vor der Tür stand die kleine, tapfere Legion der Übriggebliebenen. Sturzbetrunkene Mädchen suchten nach den besten, noch halbwegs ansehnlichen, Männchen. Grummelnd sammelten sich Paare und Grüppchen, um sich Taxen zu teilen; nachhause, ins Bett oder ins Berghain. Schlafen, ficken oder weitermachen.

Ich stand einfach nur da und starrte vor mich hin. Ich wurde zwei mal gefragt, ob ich in einen Club mitfahren wolle, dessen Namen ich noch nie gehört hatte. Ich verneinte kurz. Die Taxitüren knallten und wir wurden schnell weniger. Aus einem der Taxis stieg, ungefähr zehn Meter vor mir, ein Mädchen wieder aus, bevor der Wagen schwungvoll wendete und davon fuhr. Entweder hatte sie es sich anders überlegt, oder sie war von ihren neuen Freunden aus dem Taxi geworfen worden. Sie blieb einige Sekunden unsicher stehen und starrte auf die Stelle, an der gerade noch der urinfarbene Mercedes stand. Dann drehe sie sich zu mir, blickte auch mich einige Momente mit leeren Augen an, und begann dann, unter größeren Schwierigkeiten, langsam auf mich zuzugehen.

Sie hatte dunkelbraune Locken und trug ein fast bodenlanges, buntes Kleid. Ihr Zustand war kaum zu übersehen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie nicht hinfiel, bis sie bei mir war. Ich redete gerade noch mit einem Typen über den ominösen Club, in den die meisten jetzt gegangen waren, als sie sich neben mich stellte. Erst stand sie nur schwankend da, dann lehnte sie sich wortlos an mich und drehte sich dann so vor mich, dass sie, mit dem Kopf an meiner Schulter schon halb in meiner Jacke verschwand. „Äh,....Hi!“ sagte ich in die dichten Locken „wer bist du denn?“. Sie stellte sich als Jana vor, nahm meine Hand und zog mich dann murmelnd einige Schritte weiter, bis wir vor einem Fahrrad standen. „Dasssismeinfahrrad“ kommentierte sie den Ortswechsel kurz und starrte mich dann wieder lange und erwartungsvoll an, währenddessen ihr zwei mal die Augen zufielen. „Du kannst aber auf keinen Fall mehr Fahrrad fahren“ sagte ich. Sie nickte kurz und lehnte sich dann wieder an mich. Ich überschlug die Situation, meinen Zustand und ihren Zustand. Ich wusste, was die meisten Typen an meiner Stelle wahrscheinlich tun würden und fühlte mal wieder diesen unangenehmen Erwartungsdruck an mich selbst. „Jetzt komm schon, Alter“ versuchte ich mich innerlich zu motivieren „morgens in solche Läden zu gehen, aber keine komatösen Frauen vögeln zu wollen, ist doch so schwachsinnig wie bei Germanys Next Topmodel zu kandidieren, wenn man gar keine Kurzhaarfrisur haben will. Na los jetzt! Mach schon!“.
Ich sah noch einmal an Jana herunter. Meine Entscheidung fiel anders aus.

„Ich ruf dir jetzt mal ein Taxi, oder?“ sagte ich in die Locken an meiner Schulter. Sie versuchte es wieder mit Alleine-stehen, sah mich etwas irritiert an und antwortete „könnnntenn wirnichteinfach zu dir, oder so?“. Ich spürte, wie der Druck noch mehr zunahm. „Nein, ich glaube das ist keine gute Idee“ erklärte ich langsam „schau mal, du bist wirklich sehr betrunken. Ich bin auch sehr betrunken und ausserdem... Weißt du Jana, vielleicht hat dir das heute noch keiner gesagt, aber... du blutest irgendwie an der linken Hand“. Sie blickte überfordert auf ihre blutverklebten Finger, sah mich wieder mit diesen Fragezeichen in den Augen an, überlegte kurz und streckte ihren Kopf dann etwas näher an mein Ohr. „Ok. ...Ichhwerde dann malsssehen, ob mich einer dieser jungen Herren da drüben mitnimmt“ lallte sie und nickte in Richtung des Clubs „das willssstdu sicher nicht mit ansehen“.

Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und balancierte, den linken Arm aristokratisch abgewinkelt, auf die fünf Gestalten zu, die vor der Tür des Clubs standen. Ich wartete bis sie angekommen war und machte mich dann auf den Weg zur nächsten U-Bahn. Als ich die Kreuzung überquert hatte, blieb ich doch nochmal stehen und drehte mich um. Irgendwie wollte ich zumindest sichergehen, dass Jana nicht auf der Bank vor dem Club schlafen würde. Ich beobachtete die Verhandlungen und als ich sah, dass sich schließlich ein Pärchen ihrer annahm und die Drei zusammen losgingen, machte auch ich mich auf den Weg nachhause.


Die Situation vor einem Berliner Technoclub morgens um 10 ähnelt auf amüsante Weise der, auf dem Datingmarkt ab Mitte Dreißig. Niemand ist mehr wirklich fit, man merkt allen an, was sie hinter sich haben und die meisten nehmen, was sie noch kriegen können. Jeder hat seine Treffer kassiert und manche haben Narben davongetragen. Das große Risiko besteht jetzt nicht mehr darin, jemanden zu Fragen, ob man gemeinsam nachhause geht. Das Risiko liegt nun darin, auf diese Frage mit Ja zu antworten. Für manche kann diese Hürde gigantisch werden.

Als ich aus der U-Bahn ausstieg, rief ich meinen ältesten Freund an. Wir kennen uns schon seit der Schule und er war der einzige, den ich mich um diese Uhrzeit anzurufen traute und dem ich meinen Rede-Flash zumuten wollte. Wie erwartet, war er wach und bereits hochaktiv. Er und seine langjährige Freundin packten gerade ihr Rucksäcke für eine sonntägliche Pärchen-Wanderung mit ihren Bekannten. Da prallten mal wieder Welten aufeinander. Aber wenn mich jetzt noch jemand verstand, dann er. „Alter, das mit dem Single-Ding.... also ich kann dir was verraten, irgendwann wird das komisch“ textete ich mit verkrampftem Kiefer in mein Handy „ich mach das ja jetzt schon fünf Jahre mit, und ich sag dir was: Bei diesen Langzeit-Singles, da gibt es eigentlich nur zwei Arten... Die einen vögeln nie und die anderen, die vögeln ständig. Und weißt du was das lustigste dabei ist? Beide sind genauso einsam...“.
„Ja, Schatz! Ja, das Moskitospray“ antwortete er „nein, dich mein ich nicht! Was hast du gesagt?“. Die Unterhaltung gestaltete sich wieder erwarten doch einigermaßen schwierig, aber er hörte sich meinen drogengetränkten Redefluss geduldig an, bis ich an meiner Haustür war. Im Treppenhaus stolperte ich natürlich noch in meine 80jährige Nachbarin, die sich bei mir ausführlich über die viel zu laute Hippie-WG im Haus auskotzen wollte. Ich konnte mich irgendwie aus der Unterhaltung winden und flüchtete, mit gefährlich großen Schritten, bis in meine Wohnung. Ich sperrte die Tür (zwei Mal) hinter mir ab und fühlte mich endlich sicher. Hier drin konnte mir dieser kranke Planet für die nächsten Stunden nichts anhaben.

Aufgeputscht wie ich war, konnte ich natürlich nicht schlafen und versuchte noch ein wenig Sex mit mir zu haben, was dank des Amphetamins in meinem Blut ziemlich kläglich scheiterte. Ein weiterer guter Grund warum ich ganz froh war, niemanden mit mittleren oder gar hohen Erwartungen mit zu mir nachhause eingeladen zu haben. Es wäre ein Trauerspiel geworden. Ich hätte mich wohl dumm stellen und tatsächlich Kaffee anbieten müssen. Aber so gab es für all das wenigstens keine Zeugen. Alles in allem war die Sache also mal wieder gut ausgegangen.



...but the drugs like me.


In den letzten Monaten habe ich noch ein paar weitere Male mit der Wirkung diverser Drogen auf mein Flirtverhalten experimentiert. Im Grunde gab es aber keine wirklich nennenswerten Erkenntnisse. Die meisten Drogen wirken nicht viel anders als PickUp. Ein Großteil der Wirkung ist einfach nur Placebo, aber kurzzeitig senkt man damit seine Hemmschwelle und steigert das Selbstbewusstsein, was natürlich auf den ersten Blick zu besseren Ergebnissen führt. Genau wie PickUp verändern aber die meisten Drogen leider das Urteilsvermögen und das Sozialverhalten, verunsichern auf die Dauer mehr als dass sie helfen und hinterlassen einen ziemlich fiesen Kater. Wichtig ist also bei Drogen, genauso wie bei PickUp, irgendwann auch wieder den Absprung zu schaffen. Wer länger dabei bleibt, wird entweder zum Opfer, oder er beginnt zu dealen, und selbst aus der Schwäche und Unsicherheit anderer Kapital zu schlagen. Wenn man den Absprung schafft und sich davon erholt hat, bleiben aber in beiden Fällen durchaus ein paar lustige Erinnerungen. Und wer sie aufgeschrieben hat, kann sich später köstlich darüber amüsieren.


In diesem Sinne: Habt Spaß, haltet die Ohren steif, und lasst euch nichts andrehen!



Elia

1 Kommentar:

  1. o langsam wirds komisch. Jedes mal wenn ich denke. Hey. Elia hat bestimmt wieder was getextet und nachschaue ist was neues drin.
    Es war wie immer ein literarischer hochgenuss und die blicke meiner mitreisenden im re von neuss nach krefeld waren mir dermaßen schnuppe.
    Sobald ich zeit und lust finde geb ich dir meine neuesten erkenntnisse zum besten. Machs gut und zeig dem druck den mittelfinger ;)

    AntwortenLöschen