28. Januar 2014

How to fuck up a booty call in 10 easy steps

Berlin, Sonntag Abend halb elf. Leichter Schneefall bei minus 13 Grad Celsius. Die Frisur hält. Aber vor die Tür will trotzdem keiner...



Ich saß im Bett vor meinem neu erworbenen Fernseher und lies mich mit Schwachsinn berieseln. Ja, ich hatte mir letzte Woche so einen Zeitfresser zugelegt, ich geb's zu! Was will man machen, der Winter ist für Singles nunmal NICHT die kuschligste Zeit des Jahres, sondern eher die langweiligste. Und als stolzer Bewohner einer Kohleofen-Wohnung, kann ich euch verraten, dass man froh ist, wenn die Bude und das Bett halbwegs warm sind, und man sich nicht mehr in die Kälte und auf den Weg zur Videothek begeben muss. Während also vor mir ein verzweifelter D-Promi mit Schlamm und Insekten traktiert wurde, machte auf dem IKEA-Tisch neben mir mein Handy durch rhythmisches Vibrieren auf sich aufmerksam. Eine SMS. Es war J, die einzige Affäre, die ich in der Zeit seit meiner letzten Beziehung gehabt hatte, und damit auch die einzige Frau mit der ich in den letzten Jahren Sex hatte. Meine letzte Information zu ihr war, dass sie sich in einer On-Off-Trennung von und mit ihrem lebensunfähigen Boyfriend befand.

22:44
J: Was treibste?

Ich begutachtete kurz meine aktuelle Situation. Ich saß unrasiert, ungewaschen und stark verkatert in meinem ältesten Pyjama im Bett. Vor mir eine Bande RTL-Clowns mit Tieren im Gesicht und neben mir die sterblichen Überreste eines gequälten Industriehuhns in einer Styropor-Box. Ich überlegte, ob sich mein Zustand und meine Tätigkeit vielleicht wenigstens lyrisch ein wenig aufpimpen ließen. Da ich mich aber zu ehrlich und viel zu wenig kreativ fühlte, beschloss ich, die Informationen einfach auf ein Minimum zu beschränken, um einen halbwegs zivilisierten Eindruck zu erwecken.

22:45
Elia: Vor der Glotze hängen... Sonntags-Mood. Du so?

Einen Eimer Mehlwürmer und zwei Eimer Kakerlaken später, vibrierte mein Handy erneut.

22:47
J: Weinchen aufgemacht. Ebenfalls Sonntags-Stimmung, da ich die letzten Tage nur arbeiten war. Viel gelesen. Nun Lust auf nen Film mit Gesellschaft :)

Die Verwendung von Smileys in Textnachrichten, irritiert mich bei Frauen, mit denen ich bereits Sex hatte, immer ein wenig. Diese Doppelpunkte, Strichpunkte und geschlossenen Klammern erhalten in meinem Kopf dann häufig einen komisch sexuellen Unterton, bei dem ich mir meist nicht sicher bin, ob ich ihn mir nur einbilde, oder ob er gewollt ist. Ich war noch am Überlegen, wie ich darauf antworten solle, als schon die nächste Nachricht von ihr kam.

22:48
J: Warum wohnen wir so weit voneinander entfernt? :( Berlin mein Kind du bist zu groß

Da ich noch an der geschlossenen Klammer tüftelte, brachte mich ihre offene Klammer auch nicht viel weiter. Es klang zumindest so, als wäre ich nicht das einzige Lonely Heart an diesem arktischen Sonntag Abend. Ich berechnete kurz, wie lange die U-Bahn-Fahrt von ihr zu mir dauern würde, und ob ich in der Lage wäre, mein Schlafzimmer und meinen Köper in dieser Zeit in einen anregenderen Aggregatzustand zu versetzen.

22:50
Elia: Hm... Magste rumkommen, DVD schauen? :)

Bäm! So. Da gab's jetzt mal ne offene Klammer zurück. Von wegen der sexuellen Spannung und so... Beim nächsten mal würde mein Smiley dann sicher auch noch schelmisch zwinkern. Ja, ja... Was sie kann, kann ich schon lange... Inzwischen stand ich in meinem Zimmer. Es könnte also sein, dass es an diesem Wochenende unerwartet doch noch Sex gibt! Und zwar als Nachtisch, nach diesem seifigen halben Hähnchen. „Zähneputzen“ setzte ich schon mal auf die innere Checkliste, als mein Handy sich wieder meldete.

22:53
J: Super gerne!! Aber so kalt und so weit weg... Brrrr! Was für ne Station war es nochmal? Und du zu mir :) ???

Was wird denn das jetzt? Eine offene Klammer und drei Fragezeichen? Ich schob die Vorhänge zur Seite. Es schneite und der Wind pfiff draußen deutlich hörbar. Schon beim Gedanken wurde mir kalt. Dreckswetter! Aber Wein und Js warmes Bett klangen natürlich zugegebenermaßen nicht schlecht. Trotzdem fand ich den sich anbahnenden kleinen Machtkampf zu durchschaubar. Ich hatte ja schon ein Angebot gemacht, und schließlich bin ich ja auch kein Pizzaservice, den man Sonntag Abend mal schnell bestellt. Außerdem war ich die letzten drei Male, als ihr Beziehungsschalter mal wieder auf OFF ging, schon zu ihr gefahren. Ich mischte mir also aus Mehl, Dschungel-Schlamm, Faulheit und Stolz eine leckere Entscheidung zusammen, goss diese in eine Backform, setzte zur Dekoration eine offene Klammer oben darauf, und anschließend alles auf eine Karte.

22:56
Elia: (XXX)straße. Du bist dran! :) kommste?

Ich grübelte trotzdem weiter und war hin- und hergerissen. Hätte ich vielleicht doch einfach hinfahren sollen? Puh... Aber das ist auch ganz schon viel Action für ein bisschen Sex... Und ausserdem ist es hier so gemütlich...Und dann müsste ich ja auch sowieso erst noch duschen... Undundund... Sie ließ sich ebenfalls einige Minuten Bedenk- und Backzeit. Auch ihr Kuchen war zum größten Teil aus Faulheit und Mehl.

23:04
J: Ja da geb ich dir recht ;) aber habe es mir schon zu gemütlich gemacht und 2 Gläser Wein intus... Das müssen wir wohl vertagen. Schade. Ein Beamer wäre äußerst praktisch :)

Ich war inzwischen schon wieder in mein Bett zurückgekehrt. Eigentlich kannte ich diese Art von Ereignis ja auch bereits. Zwei Menschen, die durchaus einiges an Sympathie und die gleiche Veranlagung zur Faulheit teilen, pieksen sich nach einem eher tristen Wochenende kurz an, um zu testen, ob es ohne allzu großen Aufwand möglich wäre, ein wenig körperliche Zuneigung zu schnorren. Schließlich einigen sich beide darauf, dass zwar ausreichend Sympathie vorhanden wäre, aber die altbekannte Faulheit, die Natur und die Berliner Verkehrsbetriebe mal wieder im Weg stehen, und vertagen es auf den nächsten Versuch. Dann vielleicht im Frühling, wenn es draussen wärmer ist...

Ich antwortete nicht mehr. Nicht, weil ich beleidigt oder sauer gewesen wäre, sondern weil mein Prepaid-Guthaben auf unter 20 Cent gerutscht war und ich das Gefühl hatte, wir seien uns sowieso einig geworden. Sie meldete sich eine Minute später nochmal.

23:05
J: Würde mich freuen, dich bald mal wiederzusehen.

Vielleicht hatte sie auch ein schlechtes Gewissen. Musste sie aber gar nicht. Ich konnte sie gut verstehen. Es war ja auch scheißkalt. Und so ein Bekannter im Bett hilft vielleicht gegen die Kälte, aber eben nicht gegen die Einsamkeit. „Gute Nacht“ dachte ich mir, legte das Handy weg, machte den Fernseher aus und ging Zähneputzen.

Als ich mich nur eine halbe Stunde später vor einer Pornoseite im Internet wiederfand, musste ich dann allerdings doch mal kurz lachen.

Ich könnte jetzt natürlich noch etwas total schlaues, erkenntnisreiches über moderne Menschen, Singledasein in der Großstadt , Anonymität und unsere Gesellschaft schreiben, damit die Geschichte wenigstens am Ende so klingt, als würde man irgendwas daraus lernen können. Mach ich aber nicht. Ich bin doch nicht Carrie Bradshaw.


Also Gute Nacht ihr Wichser.


Elia


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen