21. September 2013

Männer mit Taschenrechnern

Über Stochastik, Training und die Irrwege der Quantität



Ich saß die letzten Tage jeden Mittag mit meinen französischen Freunden in deren Haus am Tisch und beobachtete eine glückliche Patchworkfamilie, als wäre ich in ein Wahlplakat der Grünen gefallen. Ich habe die beiden ziemlich genau zu dem Zeitpunkt kennengelernt, zu dem sie sich auch kennenlernten und so diese Beziehung praktisch vom ersten Tag an miterlebt. Inzwischen haben sie eine Familie gegründet und leben mit ihren vier Kindern, wovon zwei gemeinsame sind, in einem wunderschönen Haus ein Bilderbuch-Familienleben. Für mich sind die zwei ein großartiger und seltener Fall dessen, was wohl 'wahre Liebe' sein muss. Alle Logistik, Wahrscheinlichkeit und Logik des Datings und der Partnerpsychologie sprachen von Anfang an völlig gegen diese Beziehung. Er lebte in einer Ehe mit einer anderen Frau, sie in einer anderen Stadt. Die beiden trennten nicht nur über 20 Jahre Altersunterschied, sondern auch enorme soziale Unterschiede, Ländergrenzen und 1000km Luftlinie. Trotzdem verliebten sie sich auf den ersten Blick und er folgte ihr, ohne Rücksicht auf die Folgen für ihn, seinen Beruf und seine Ehe zu nehmen, blind in ein anderes Land und ein anderes Leben. Heute sind sie eines der glücklichsten Paare, das ich kenne. Ihre Geschichte war zum großen Teil alles andere als 'hollywoodesk', aber immer wenn ich die beiden zusammen sehe, denke ich, dass es genau das ist, was ich und viele andere doch eigentlich suchen; eine Art 'Seelenpartner'. Aber kann man das Finden, eines solchen Partners durch Techniken oder Verhalten beeinflussen? Kann man die Wahrscheinlichkeit so jemanden kennenzulernen wirklich erhöhen?

In den letzten zwanzig Jahren hatte ich einen relativ stabilen Rhythmus, wenn es um Beziehungen ging. Meine Beziehungen dauerten alle etwas länger als zwei Jahre und dazwischen war ich meist ungefähr zwei Jahre Single. Ins Straucheln kam dieser Rhythmus erst nach meiner letzten Beziehung, nach der meine Single-Phase sich nun bald fünf Jahre hinzieht. Ich lernte die Hälfte meiner Freundinnen über meinen Social Circle kennen, die andere Hälfte in Clubs, Bars oder auf Konzerten. Vor etwas mehr als einem Jahr begann ich zu überlegen, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, diesen Rhythmus zu beeinflussen und die Chancen zu erhöhen, wieder ein Mädchen mit 'Girlfriend-Potenzial' kennenzulernen. Ich entdeckte Pick Up. Und die Idee schien nicht nur für schnellen Sex, sondern auch für die Suche nach einer Beziehung, auf ihre männlich-logische Art so einfach, wie mathematisch richtig zu sein. Wenn man in ungefähr gleichen Abständen, in denen man bisher ja ungefähr die gleiche Anzahl an Frauen kennengelernt hatte, ein Mädchen findet, in das man sich verliebt und mit dem man eine Beziehung führt, dann müsste sich genau diese Zeitspanne, zwischen den Beziehungen, doch verkürzen lassen, indem man einfach die Anzahl der Mädchen, die man kennenlernt erhöht. Das hatte für mich Hand und Fuß. Es war Mathematik, simple Wahrscheinlichkeitsrechnung.

In den ersten Tagen meiner 'Pick-Up-Recherche', faszinierten mich vor allem all die verpassten Chancen, die mir durch den Kopf gingen, während ich mir Daygame-Videos auf Youtube reinzog. Jeder von uns kennt das tolle Mädchen, das heute Mittag auf der Straße an einem vorbeiging, oder in der U-Bahn gegenübersaß. Jeder kennt das grummelige Gefühl, während sie aufsteht und an der nächsten Station aussteigt, oder man sich noch einmal umdreht, und sie hinter der nächsten Häuserecke verschwinden sieht. Wenn man nun tatsächlich all diese Mädchen anspräche, dann müsste doch schon nach kurzer Zeit genau das passieren, was sonst eben erst nach zwei Jahren passiert, wenn man durch Zufall auf der Party die neue Mitbewohnerin der kleinen Schwester einer Bekannten vorgestellt bekommt. Ich war geflashed!

Ich begann zu rechnen. Wie viele Frauen, die ich interessant fand, hatte ich denn bisher über meinen Social Circle, meine Arbeit oder in Clubs ungefähr pro Jahr kennengelernt? Wie viele in zwei Jahren? Dies musste doch dann die magische Zahl sein! Ginge ich also davon aus, ich hätte durchschnittlich ungefähr 20 tolle Frauen pro Jahr kennengelernt, dann müsste ich also doch nur vor die Tür gehen und die nächsten 40 Frauen, die mir wirklich gefallen, ansprechen und schon hätte ich mit hoher Wahrscheinlichkeit die Telefonnummer meiner nächsten Freundin in der Tasche. Nach 80 Frauen wäre ich praktisch nahezu mit Sicherheit verliebt und bald in einer neuen Beziehung! Quod erat demonstrandum!

Ich habe nun ein Jahr Pick Up hinter mir. Ich habe in dieser Zeit sicherlich so viele fremde Frauen angesprochen, wie sonst in vier oder mehr Jahren. Trotzdem war eigentlich nur ein Mädchen dabei, das mich, zumindest eine Zeit lang, wirklich fesseln konnte. Woran liegt dieser Fehler in der Dating-Mathematik? Ich lesen in Foren von Männern, die täglich zehn oder mehr Frauen auf der Straße ansprechen, die fast jeden Tag ein Date 'absolvieren', die sich keine Chance mehr, ob in der U-Bahn oder der Metzgerei, entgehen lassen. Trotzdem liest man erstaunlich lange von diesen Jungs. Sie freuen sich über ihre ersten Telefonnummern und später ihren ersten 'Fuck-Close'. Doch sehr oft beginnen sie nach einiger Zeit zu jammern, oder zumindest klingt etwas seltsam melancholisches in ihren Tagebüchern und Reports durch, wenn sich die erste Euphorie gelegt hat. Denn nicht alles lässt sich so direkt und einfach erhöhen, wie die Zahl der Telefonnummern in ihren Handys. Und einige bemerken, dass sie eigentlich etwas anderes gesucht hatten. Es ging nie um 70 Telefonnummern. Es ging nie um die verwaschene Erinnerung an das Rumgemache im Club letzte Nacht. Es ging immer um das eine Mädchen. Warum lässt sie denn so lange auf sich warten? Warum lässt sich das anscheinend eben nicht so leicht erzwingen, oder beschleunigen wie die beiden anderen Resultate? Wo liegt der Denkfehler?



Sargen auf dem Alexanderplatz - Die Evolution frisst ihre Kinder und spuckt sie wieder aus


Lustigerweise wird gerade im Daygame, wo einige Jungs wirkliche Approach-Feldzüge über Stunden hinweg führen, diese Problematik besonders deutlich. Hier gibt es wesentlich seltener ein spielerisches Annähern und lange Gespräche, geschweige denn ein Kennenlernen über Freunde oder durch den vermeintlichen 'Zufall'; hier wird meist schnell, direkt und zahlreich genumberclosed. Trotzdem bleiben gerade hier die Ergebnisse recht überschaubar und selten geht jemand nach 80 Approaches mit einer neuen Freundin nachhause. Häufig liest man aber gerade im Daygame von Training, von Übung, davon 'gut darin' zu werden, Frauen anzusprechen. Steigert also die häufige Wiederholung dieses Vorgangs nicht nur einfach die Wahrscheinlichkeit jemand wirklich tollen kennenzulernen, in dem sie schlichtweg die Anzahl der Menschen erhöht die wir ansprechen, sondern bringt uns die häufige Wiederholung eine Art 'Trainingserfolg'? Werden wir sicherer, 'besser' im Kennenlernen und im Ansprechen? Und wenn ja, ist das ein Vorteil? Erhöht das wirklich die Erfolgschancen im Einzellfall, oder verringert es lediglich unser unangenehmes Gefühl dabei?

Ich war nie ein großer Freund der Evolutionspsychologie und den daraus hergeleiteten Flirtstrategien à la Mystery und Co. Aber wenn wir deren Logik betrachten, so suchen Frauen vor dem Sex vor allem die innere Sicherheit, dass der Mann wirklich an ihnen interessiert ist, bei ihnen bleibt und sie somit nicht Gefahr laufen, im bösen, dunklen Dschungel mit dem Kind ihres Traummannes alleine gelassen zu werden und tragisch zu Grunde zu gehen. Damit erklärt dieser streng darwinistische Teil des Aufreißer-Zirkus all die gemeinen Shittests, Spielchen und LMRs, die ihnen von Frauen auf ihrem Weg zur nächsten Bettkantenkerbe in die Speichen geworfen werden. Es geht der holden Weiblichkeit also darum, unterbewusst zu testen, wie ernst es den Jungen Werther wirklich erwischt hat; wie verwirrt er ist, wenn er vor ihr steht. „You`ve hijacked my brain“ nennt besagter Mystery die Botschaft, die der Angebeteten im Idealfall vermittelt werden soll.

Nun liest man bei Daygame-Coaches wie Sasha Daygame oder Tom Torero immer wieder vom, für diese These sehr interessanten Effekt, dass gerade völlige Neulinge, wenn sie ihre ersten zittrigen, unsicheren Approaches machen, meist erstmal eine überraschend hohe Trefferquote erzielen und fleissig Nummern kassieren. Woher kommt das? Widerspricht das nicht der ganzen Idee von 'Trainingssets um warm zu werden', vom regelmäßigen sargen gehen und vom gut und besser und noch besser werden? Müssten diese Noobs, diese 'AFCs' und 'rAFCs' nicht eigentlich durch ihre Unsicherheit erstmal total abkacken bei den Mädels?

Spannend wird dieser Effekt, wenn man sich noch einmal den vorherigen Gedanken aus der Evolutionspsychologie ansieht und dazu ein wenig in Pick-Up-Foren blättert. Ziemlich zahlreich finden sich hier allzu fleissige Daygame-Soldaten, die nach einer passenden Antwort suchen, auf die immer häufiger auftretende Frage ihrer Targets, ob sie so etwas denn häufiger machen würden. Denn wie einigen aufmerksamen, jungen Pick-Up-Helden bereits aufgefallen ist, sind Mädchen (entgegen dem, was manche wilden Manipulations-Strategien suggerieren) leider nicht dumm und merken durchaus, ob jemand seltsam sicher und entspannt auftritt, während er etwas so unangenehmes und 'unnormales' tut, wie eine fremde Frau auf offener Straße anzusprechen um ihr zu gestehen, dass er einfach nicht anders konnte und ihr sagen musste, wie wunderschön und interessant sie aussieht. Toll für ihn, dass er das jetzt so entspannt kann. Doch nach 150 Approaches, hat er leider etwas verloren, das blutige Anfänger seiner Sportart eben noch haben: Nervosität.

Genau diese Nervosität vermittelt dem jungen Mädchen, das gerade noch überlegt, ob der fremde Typ sie hier nur bumsen oder gar verarschen will, oder ob er das wirklich ernst meint und er sie wirklich so bezaubernd fand, dass er sie wie ferngesteuert ansprechen musste, eine Sicherheit. Die Sicherheit, dass er das offensichtlich wirklich zum ersten Mal tut und die Sicherheit, dass er anscheinend selbst ziemlich von der Situation überfordert ist. Die Sicherheit, dass er sie nicht nur verarschen oder bumsen will, dass es ihm ernst ist, und dass er das nicht schon den ganzen Nachmittag über macht und sein freakiger Coach in zehn Metern Entfernung an einer Hauswand lehnt und sich Notizen zu seiner Körpersprache macht. Die Sicherheit also, dass er keiner von diesen 'Pick-Up-Artists' aus dem Internet ist, von denen sie gelesen hat, sondern der nette, junge Kerl, auf den sie vielleicht wirklich schon lange gewartet hatte. Doch statt dessen wirkt er gar nicht nervös, sondern entspannt, locker und so ausgeprägt unneedy, als würde er fast schon nach der Nächsten Ausschau halten. Das ist es, was sie zurecht misstrauisch macht.
Die Evolutionspsychologie hat erfolgreich funktioniert, das Mädchen davor bewahrt, ein Field-Report zu werden, und genau an dieser Stelle hat sich der fleissige kleine Artist mit all seinen 'Übungssets' und Trainingsstunden schön selbst ins Knie geballert. Oder wie er wahrscheinlich inzwischen sagen würde 'gecockblockt'.



The Answer Is You


Ein anderes Wurmloch in meiner eisern logischen Datingmatrix war, dass sie natürlich einen uralten, staubigen Effekt der Psychologie ausblendet. Der Suchende kann nur finden, wenn er mit sich selbst im Reinen ist. Es gibt eine Million Gründe, warum wir single sind und die wenigsten sind extern. Die meisten Gründe liegen in uns selbst; dein größter Feind bist immer du.

Nach einer längeren Beziehung und einer wahrscheinlich schmerzhaften Trennung brauchen wir Zeit, um uns wieder zu regenerieren, Frieden mit uns und unserem Leben zu machen. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass etwas wirklich im Argen liegt, ist wenn Menschen ständig von einer Beziehung in die nächste wechseln, oder manisch von einem Bett ins nächste springen. Diese Menschen sind offenbar nicht in der Lage mit sich selbst allein zu sein und benötigen aus irgendeinem Grund immer das Feedback und die Bestätigung durch einen anderen Menschen oder eine Beziehung. Es ist also richtig und wichtig, dass wir nach einer Beziehung meist nicht in der Lage sind, uns auf eine neue Beziehung einzulassen. Selbst wenn wir uns eine neue Partnerschaft wünschen, benötigen wir einige Zeit, um wieder dafür bereit zu sein. Dies strahlen wir, ob wir wollen oder nicht, natürlich aus. Häufig sind aber gerade diese Fälle auch diejenigen, die am verbissensten und verzweifeltsten suchen. Und auch diese Tatsache trägt natürlich nicht zum Erfolg der Suche, sondern nur zum Gegenteil bei.

Ein anderer Punkt, der uns aus uns selbst heraus ausbremsen kann und häufig durch schwierige Trennungen oder Beziehungen entsteht, sind Angst, Zorn oder Misstrauen gegenüber dem anderen Geschlecht. Niemand geht ohne Narben aus Beziehungen und über die Jahre werden diese natürlich mehr, aber wenn wir Gefühle wie diese aus alten Beziehungen mitnehmen und es nicht schaffen, sie abzuschütteln, dann sabotieren diese, ob wir wollen oder nicht, unsere nächsten Beziehungen oder machen es schlichtweg unmöglich, jemanden kennenzulernen oder eine Beziehung einzugehen. Andersherum strahlen wir diese auch aus und unser Gegenüber wird, bewusst oder unbewusst, ein Problem haben, sich auf uns oder eine Beziehung mit uns einzulassen. Es ist also immens wichtig, sich nach einer Trennung genug Zeit zu geben, um nicht mehr wütend zu sein, sich selbst und seinem Ex-Partner zu vergeben und die Angst vor Verletzungen abzulegen.

Noch schlimmere Sabotage an sich selbst betreiben Zeitgenossen, die durch ihre Partnerschaft, die Trennung, oder die Partnersuche danach, Frustration, Zorn oder gar Hass gegenüber dem anderen Geschlecht aufgebaut haben. In der Pick Up Community laufen sie uns praktisch täglich über den Weg und wir alle kennen den ekligen Unterton ihrer Kommentare, wenn es um Frauen geht. Dass eine Beziehung mit solch einem frustgeladenen Frauenhasser weder lange funktionieren kann, noch irgendeiner Frau zu wünschen ist, versteht sich von selbst. Was diese Art von Jungs aber schon lange nicht mehr bereit sind zu verstehen, ist dass sie nicht nur Frauen für ihr, mit einer völlig anderen Frau erlebtes, Leid und ihre Frustration büßen lassen, sondern vor allem sich selbst damit strafen. Früher oder später haben sie sich in ihrer Spirale aus Hass und daraus resultierendem Scheitern so weit nach unten gebombt, dass ihnen nichts weiter mehr bleibt, als sich mit anderen wütenden Kerlen, mit genauso roten Gesichtern, in eine Ecke, oder wahlweise eine Facebookgruppe zurückzuziehen und gemeinsam beleidigt und gekränkt vor sich hin zu hassen, oder sich ganz doll selbst leid zu tun, weil die Welt und die Frauen so ungerecht zu ihnen sind. Oft entwickeln sie ein wüstes, ritterliches Selbstbild einer rachesuchenden, maskulinen Speerspitze der letzten 'wahren Männer', in Wahrheit sind sie aber das Traurigste, was das männliche Geschlecht, in der Auseinandersetzung mit dem weiblichen, hervorgebracht hat.

Im Pick Up würde es wohl alles unter 'Inner Game' laufen: Selbstbewusstsein, Selbstliebe und die Einstellung, eine tolle Frau und eine Beziehung mit ihr nicht nur zu verdienen, sondern auch finden und ebenbürtig führen zu können. Diese Einstellung fehlt aber vielen von uns und es ist nicht leicht, sich das einzugestehen und noch schwieriger, es zu ändern. Solche Probleme lassen sich weder in einem netten Wochenend-Workshop noch in einem kurzen Coaching beseitigen. Um daran zu arbeiten brauchen wir oft Jahre, viel Energie und meist einen guten Therapeuten.

Viel wichtiger als alles Sargen, Training, die tollen Opener, Körpersprache, Zaubertricks und NLP-Fingerspielchen ist es offen, angstfrei und ohne Feindbild mit Frauen umgehen zu können. Wer vollgestopft mit der Angst vor Shittests, reichlich Erfolgsdruck und Gruppenzwang, billigen Routinen und frustgetränkten Psycho-Macht-Spielchen auf Frauen zugeht, wird über die Telefonnummer oder die erste betrunkene Nacht nie hinwegkommen. Nur wenn wir uns selbst lieben, kann sich jemand anderes in uns verlieben. Nur wenn wir uns selbst die Beziehung mit einer tollen Frau zugestehen, der ehrlichen Überzeugung sind, dass wir sie verdienen, werden wir in der Lage und wirklich bereit sein, diese auch zu finden.



Väterchen Zufall, Mütterchen Romantik und ihre drei schwulen Söhne


Pick Up hat viel mit vermeintlicher Kontrolle zu tun; Kontrolle über sich selbst, über seine Gefühle und vor allem Kontrolle über andere und deren Gefühle. Der sehr unreife Gedanke, mit der richtigen Technik alles im Leben kontrollieren zu können, die gottgleiche Machtphantasie mancher Pick-Up-Helden, ignoriert die alte Weisheit, dass das meiste im Universum durch Zufall geschieht. Für manche fühlt es sich freundlicher an, den guten Zufall Gott, Mohammed, Game oder Gerechtigkeit und den schlechten Zufall Satan, Pech oder Schicksal zu nennen; ich nenne den Zufall lieber Zufall.

Zufällig doch noch an diesem Abend weggegangen zu sein, und dann auch noch in diese Bar, die man eigentlich nicht mochte, um dort die Frau zu finden, mit der man dann sein halbes Leben verbringt und drei rotzfreche Versager in die Welt setzt, birgt zugegebenermaßen ein enormes Potenzial an Romantik. Da Romantik keine Pick-Up-Abkürzung hat, werden einige Profi-Casanovas bei dem Wort entweder Fragezeichen in den Augen haben, oder angeekelt zusammenzucken. Ich glaube Romantik spielt eine große Rolle und wird im Pick Up fast genauso konsequent ignoriert wie Humor und Charme. Statt sich über Romantik Gedanken zu machen, kümmern sich die meisten lieber weiter bei McFIT um ihre Oberschenkelmuskulatur. Das ist anscheinend, was Frauen angeht, zielführender und ausserdem weit weniger schwul. Das gemeine an Romantik in Verbindung mit Zufall ist nämlich, dass man es im Gegensatz zur Oberschenkelmuskulatur nicht trainieren kann, sondern erkennen muss. Man muss ein Gefühl dafür haben, ähnlich wie bei Humor und Charme. Daher sind diese Sachen beim Verführen von Frauen ja offensichtlich auch so total unwichtig.

Der Zufall ist bekanntlich eine dumme Sau und kommt daher meistens, wenn wir ihn nicht erwarten und auch gar nicht brauchen. Dass uns die Frau unseres Lebens gegenübersteht, während wir eigentlich schon mit einer anderen verheiratet sind und ausserdem auf dem Weg zur Arbeit, muss man erstmal erkennen können und wollen. Wer es dann auch noch schafft, völlig needy und ohne zu Zögern alles zu riskieren, um diese Frau zu erobern, der hat die Chance, die Art von Beziehung zu führen, die leider nur wenige in ihrem Leben ein Mal erleben dürfen.

Der Zufall lässt sich nicht beeinflussen. Aber er lässt sich erkennen oder nicht und nutzen oder nicht, und genau das ist die große Kunst. Das Mädchen deiner Träume lässt sich nicht erzwingen, indem du den kompletten scheiß Alexanderplatz mit deinem neuen Opener nervst. Aber wenn es neben dir in der U-Bahn sitzt, liegt es an dir, den Zufall zu erkennen und sie anzusprechen. Dann wirst du wahrscheinlich etwas zittern, total peinlich schwitzen und völlig uncool wirken. Du wirst dein Herz laut in deinem Kopf schlagen hören, bevor du einen Ton rausbekommst. Deine Stimme wird seltsam wackelig klingen und du wirst den größten Scheiß der Welt erzählen, weil du so aufgeregt bist. Und wenn sie wirklich cool ist, wird sie das erkennen und sie wird es romantisch finden. Weil es romantisch ist. Genau diese Romantik lässt sich übrigens ziemlich leicht töten. Und zwar genau dann, wenn dieses Mädchen die Nummer 32 ist. Wenn du vor ihr dem Mädchen Nummer 31, fünf Meter weiter, den gleichen Dreck erzählt hattest, und du direkt nach ihr die Nummer 33 ansprechen wirst, bevor du kurz bei McDonalds Sarging-Pause machst. Dann wird in eurem Gespräch genau das fehlen, was du leider nicht mit deinem Coach üben konntest. Und ausserdem wirst du irgendwann mal deinen Coach anrufen müssen, damit er euren Kindern erzählt, wie du an dem Tag Mutti als 'Nummer 32' angetextet hattest.

Der Zufall hat selten einen sicheren Rhythmus, und so wie du eben nicht jedes Jahr einen wirklichen Freund findest, so findest du auch nicht jedes Jahr eine Freundin. Das ist nicht schlimm, sondern normal. Wäre es wirklich so leicht, seine Traumfrau zu finden, würde nicht ein kleines Grüppchen von Freaks den Alexanderplatz leersargen, dann würde nicht eine kleine Internet-Community an neuen Openern basteln, sondern jeder Single-Mann der Welt würde im nächsten Kaufhaus nach einer weiblichen Meinung zur nahegelegensten Postfiliale fragen.



Quod est dubitandum!


Ich hatte also vor einem Jahr einiges vergessen bei meiner kleinen Rechenaufgabe zum Thema Dating und Pick Up. Ich hatte unter anderem vergessen, dass vielleicht gar nicht die Anzahl der Frauen entscheidend ist, die man kennenlernt, und auch nicht das dumme Gelaber, das man sich überlegt, vor oder während man mit ihnen spricht, sondern die Zeit, die man vorher mit sich selbst verbracht hat, oder die Einstellung, die man ihnen gegenüber hat, oder die Einstellung die man sich selbst gegenüber hat, oder das komische Grummeln, wenn sich das Mädchen in der U-Bahn plötzlich neben dich setzt, oder einfach, dass du den Zug davor ganz knapp verpasst hattest. Und wirklich wichtig ist am Ende eben nur, einzig und allein, dass du kurz allen Mut zusammen nimmst, und anfängst mit ihr zu reden.

Zumindest wenn es um die Zeit mit mir alleine geht, bin ich schon lange überfällig. Mein Gequatsche ist angeblich halbwegs zu ertragen, meine Einstellung gewöhnungsbedürftig, aber nicht boshaft, mein Magen grummelt ständig und ich bemühe mich so viele U-Bahnen wie möglich zu verpassen. Ich wäre dann soweit. Wenn also das nächste Mädchen in meinem Leben nicht der verdammte Oberhammer ist, bekommt der liebe Zufall von mir eventuell wirklich mal ein paar aufs Maul.



Elia


5 Kommentare:

  1. Ich habe in meinem Leben rund 2500-3000 Frauen angesprochen. Auf der Straße, im Club, in ner Bar, während des Einkaufens mit meiner Mutter, einfach überall. Anfangs war ich ebenfalls überzeugt ich müsste den coolen spielen, der immer weiß was er tut und nie nervös ist. Irgendwann habe ich mitbekommen das dass absolut beschissen ankommt. Aber leider war ich da schon cool. Man kann, wenn man genug geübt hat, auch unsicherheit vortäuschen. Manche Frauen merken es, manche nicht.
    Ich habe mich viel mit PU beschäftigt und dachte eigentlich immer das ich der Noob schlecht hin bin, weil ich doch so wenig bumse. Nach 4 Jahren PU und knappen 3000 approachten Sets haben dann doch "nur" rund 150 Kiss Closes raus gesehen. Sprach ich mehr Frauen an, übermannte mich immer mehr das Gefühl das mehr Soziopathen draussen unterwegs sind. Irgendwann, war rund vor nem Jahr, habe ich nen harten Cut gemacht und ging wieder auf Lan-Partys, rauchte hin und wieder einen Joint und tat andere "unüberlegte" Dinge die ein PUA nicht tut. Die Zahl der Closes ging in den Keller, tief in den Keller. Aber die Welt kam mir netter vor. Die Frauen die ich danach küsste, küsste ich gerne, nicht weil ich musste.

    Schau dir mal die ganzen sogenannten PUA an, wo diese landen und mit wem diese "verkehren". Ich kenne so viele persönlich und keinen wollte ich ein 2x treffen. Sei es den Berliner Lairleiter oder den Hamburger Mod. Alles creepy as fuck. Die Jungs die glücklich (!) mit der Freundin sind, leben ein anderes Leben. Eines wo nicht die Anzahl der Lays wichtig ist, sondern die Schläge des Herzens.

    Ob Zufall oder nicht, dass kann ich nicht beurteilen. Ich glaube nicht an Zufall, aber eine beliebige Nummer ist es ganz bestimmt nicht. Jeder Mensch hat einen eigenen abgefuckten Teil seines Lebens. Und die meisten Menschen haben Angst vor diesem abfuckten Teil, aber irgendwann kommt mal einer, der mag diesen Abufuck und hat das gleiche/ähnliche oder kann das zumindest verstehen. Die hohe Kunst dahinter besteht darin zwischen Bedürftigkeit und "Liebe" zu unterscheiden. Und ausserdem und sowieso, was macht man eigentlich wenn man auf die Eine wartet wenn nicht eine X-beliebige Anzahl an Frauen flach zu legen. Die mit dem gleichen Dachschaden wie ich im besten Fall.

    Unterm Strich, von allen 3000 Frauen die ich angsprochen habe (und das ist sogar für Pick Up verhältnisse viel) sind mir genau 2 (!) in Erinnerung geblieben. Alle anderen waren Übungssets. Denn immerhin musste ich wissen das es falsch ist meiner Ex die Liebe beim 2 Date zu gestehen und es dennoch zu tun. Oder der Großmutter meiner geliebten Affäre erzähle das ich vielleicht nach Spandau ziehe, ohne das die Kleine es weiß. Pick Up bleibt eben das was es ist. Die teuerste Penispumpe der Welt!

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  2. Hammer Text, selten so gelacht. Und warum? Weil es wahr ist!! Schöner Humor :)

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  3. Du Spast hast nix verstanden :)

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  4. Text gefällt wirklich!

    Herrliche Anspielung auf die Oberschenkelmuskulatur (so lange es nicht die Arme sind) und das "schwul sein" :)
    Die ganze Passage mit der Romantik und PickUp ist zum Piepen (postiv gemeint).

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    1. Vielen Dank !! Ich bin in letzter Zeit leider nicht wirklich zum Schreiben gekommen, aber sowas motiviert immer und ich werde mich sicher demnächst mal wieder hinsetzen...

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