21. Juli 2013

Theorie-Update: Tucker Max

Immer wenn ich gestern die Augen aufmachte, sah ich den Wildwuchs auf meinem Balkon gegen den blauen Himmel und konnte feststellen, dass die Sonne wieder ein Stück weiter an mir hochgewandert war. So verbrachte ich den gesamten Tag. Der pulsierende Schmerz in meinem Kopf lies leider keine andere Aktivität zu. Schmerzfrei war ich erst gegen 21Uhr und da hatte ich dann aber auch keine Lust mehr noch etwas produktives aus den letzten Stunden des Samstags zu holen. Wie man jetzt recht leicht schlussfolgern kann, war ich Freitag seit langem mal wieder aus und musste nicht nur feststellen, wie schnell man, nach einer 4-Wöchigen Club- und Bar-Pause, aus seiner Ansprechroutine raus ist und wieder böse AA mit sich herumschleppt, sondern auch, wie schnell man aus dem Trinktraining ist und wie fies einem, wenn man um 18Uhr schon anfängt, gegen 3Uhr das 8te, 9te oder 10te Bier doch die Füße wegzieht. Auf dem Nachhauseweg machte ich dann auch noch jeden morgendlichen Passanten durch meinen berühmten, extrem lauten und nicht zu unterdrückenden, Bier-Schluckauf auf mich aufmerksam. Ich war Eindeutig nicht mehr im Training.

Was mir in meinem Bierkater gestern allerdings themenbedingt doch noch einfiel, war dass ich ja nicht nur mit meinen Field Reports fast einen Monat hinterher hinke, sondern dass ich auch schon einige Buchbesprechungen im Verzug bin und dass nun eigentlich Tucker Max dran wäre, besprochen zu werden. Thematisch passt das natürlich hervorragend zusammen, denn bei Tucker Max geht es prinzipiell eigentlich fast nur ums Saufen. Dass dabei im Verlauf immer mal wieder einige Mädchen abgeschleppt werden, kann genauso direkt auf den stets fast komatösen Alkoholpegel des Protagonisten zurückgeführt werden, wie seine regelmäßigen, unkontrollierten Kotz- und Scheiß-Attacken in fremden Betten oder an öffentlichen Orten. Für schwache Mägen ist das Buch 'I Hope They Serve Beer In Hell' von Tucker Max also mindestens so falsch wie der darin recht unverhohlen abgefeierte Konsum großer Mengen des genannten Erfrischungsgetränks.

Als ich anfing darin zu lesen hatte Tucker Max meine grundsätzliche Sympathie recht schnell alleine schon damit gewonnen, dass er zu Beginn jeder (angeblich wahren) Geschichte erstmal, durch eben völlig unverhältnismäßigen Alkoholkonsum, dafür sorgt, jede zivile Ordnung und deren Regeln in seiner Umgebung aufzuheben und einen extrem explosiven, anarchischen Ausnahmezustand herzustellen. Er schien mir ein vernünftiger, junger Mann zu sein. Was mich allerdings recht schnell nervte, war die Tatsache, dass er in seinen Erzählungen eben auch genau bei diesem Ablauf (Saufen-Kotzen-Ficken, oder Saufen-Ficken-Kotzen) bleibt und die Geschichten sich irgendwann endlos zu wiederholen scheinen. Ich fühlte mich an einige Field-Report-Sammlungen von bekannten, oder weniger bekannten, PickUp- und Forums-Helden erinnert und reagierte auch irgendwann ähnlich genervt auf die zwanzigste Wiederholung. Was Tucker Max, genauso wie viele PickUp-Autoren, vermissen lässt, sind Einblicke in seine Gefühls- und Gedanken-Welt. Vielleicht ist das aber auch gar nicht zu seinem Nachteil, denn wenn er den Leser, in einigen kurzen Passagen, mal einen Einblick in seine Gedanken gewährt, lassen die meist auf ein erschreckend flaches Gewässer schließen.

Als 'Hobby-Barfly' fühlte ich mich dann aber doch das eine oder andere Mal auch ein wenig ertappt. In einem der ersten Kapitel analysiert er den Zusammenhang zwischen Flirt- und Trink-Verhalten seines guten Freundes 'SlingBlade' recht kurz und treffend:
I think it was George Burns who said, „It takes only one drink to get me drunk. The trouble is, I can't remember if it's the thirteenth or the fourteenth.“ The same could be said for SlingBlade about hooking up. For him to hook-up he has to perfectly hit his drinking sweet-spot. It's got to be enough alcohol that he is truly fucked up, but not so much that he loses control. The problem with this is that his tolerance is terrible, which leaves him without much margin for error. If he doesn't drink enough he still thinks the woman is a slut and he won't touch her, but if he drinks too much he throws up and/or passes out. It's a delicate balance to get him into his Hook-up Zone.“
Natürlich halte ich Frauen im nüchternen Zustand nicht für Schlampen. Aber ich kennen die Herausforderung, den schmalen Grad, den magischen Pegel, den perfekten Zustand zu finden, in dem man Frauen anspricht als würde man nie etwas anderes tun, und der kleine, sozial untaugliche Arsch, den man sonst gerne im Kopf hat, geknebelt und gefesselt unter der Bar liegt.

Tucker Max hat ein Problem mit Frauen. Das hätte man sich denken können. Auch wenn er darüber nicht schreibt, lässt es sich ziemlich leicht herauslesen. Und in seinem Fall, wie in vielen ähnlichen Fällen, fehlt der Respekt für Frauen ganz einfach dadurch, dass er keinen Respekt vor sich selber hat. Würde man in solch dummen Kategorien denken, wäre Tucker Max eine klassische 'LSE-HD'. Er mag sich selber nicht und folglich kann er sich nicht erklären, warum irgendeine Frau ihn mögen könnte. Wenn also eine Frau mit ihm nachhause geht, kann sie nur eine dumme Schlampe sein. Wenn einem der natürliche Respekt vor der eigenen Person fehlt, kann man sich seinen Wert nur noch durch die zählbaren Reaktionen der Außenwelt beweisen, durch die berühmten 'Kerben in der Bettkante'. Wenn man andere Menschen aber auch kaum respektiert, benötigt man viele, und immer wieder neue, 'Kerben' um den eigenen Wert zu spüren:
I don't know exactly how many girls I've slept with, but it's well into the triple digits. You start to forget a few last names somewhere in the 30s, some first names around the 60s, and entire girls altogether somewhere around the 90s, but no matter how much or how many you fuck, some are just unforgettable.
This particular girl, 'Candy,' I met while working in Cancun. I was so busy fucking her sorority sister, I didn't hit on her until the day before she left, but she was having none for me. I figured that she just respect herself and didn't want to fuck someone like me...“

Der fehlende Respekt vor anderen Menschen, speziell Frauen, wird besonders deutlich an einer Stelle des Buches an der Tucker Max beschreibt, wie er einen Bekannten in seinem Schrank versteckt, um heimlich und ohne ihr Mitwissen ein Mädchen zu filmen, während er Sex mit ihr hat. Doch wie an allen anderen Punkten, an denen der moralische Abgrund in den er ja auch selber, spätestens beim Schreiben, blicken muss, so tief und schwarz wird, dass er sich doch genötigt fühlt etwas zu erklären, flüchtet er in eine seltsam stilisierte Position des 'schlechten', 'verdorbenen', 'unmoralischen' Antihelden, der sich aber eigentlich doch unübersehbar für seinen 'sicheren Platz in der Hölle' abfeiert und heimlich auf Applaus schielt:
I am a bad person. At 21, I was possibly the worst person in existence. I had no regard for the feelings of others, I was narcissistic and self-absorbed to the point of psychotic delusion, and I saw other people only as a means to my happiness and not as humans worthy of respect and consideration.“

Und genau diese Art der Stilisierung wiederholt Tucker Max bis zum, von ihm so geliebten, Erbrechen. Nur dass in diesem Fall der Leser derjenige ist, der sich über die Kloschüssel retten muss. Und nachdem er sich irgendwann zum hundertsten Mal grinsend und unkreativ seine immer gleichen, verbalen Teufelshörner aufgesetzt hat und sich damit aber dann doch ziemlich cool fühlt, möchte man ihn eigentlich schon lange fragen, warum er das alles denn dann überhaupt tut? Genau diese Frage beantwortet Tucker Max aber, ohne es zu merken, eigentlich ständig selbst. Im Grunde ist sein 'Problem' ein hasserfülltes Selbstbild, was zu einem hasserfüllten Frauenbild führt. Und wie bei fast allen Männern, die mit einem derart miesen Frauenbild durch die Welt rennen, ist dieses nur die logische Folge eines genauso spießigen und negativen Männerbildes. Denn Tucker Max ist kein Freigeist, der freie Liebe und befreite Sexualität fordert. Für ihn sind Frauen, die sich mit Männern wie ihm vergnügen, weiterhin billige, unreine Schlampen und Männer, die sich wie er verhalten, eben einfach nur 'schlecht'.
Look, I know how bad some of these stories are. I know that in return for my youthful behaviour, fate will give me five daughters and make them all vicious sluts who sleep with guys like me an then throw it in my face. I know that in any cosmically just afterlife, I deserve to have all order of awful punishments waiting for me...“ und so weiter, und so weiter, und so weiter...

Im Grunde erklärt uns Tucker Max aber durch seine Gedanken zu Frauen, und warum diese mit 'Typen wie ihm' schlafen, unfreiwillig ganz von selbst, seine eigenen Ego-Probleme, und die von wahrscheinlich vielen Männern, die ihre Bestätigung darin suchen, dass möglichst viele Frauen bereit sind mit ihnen zu schlafen und darin, dies dann natürlich möglichst vielen Männern mitzuteilen. Auf beiden Seiten sind es eben oft sehr schwache Egos, die sich gegenseitig versuchen, am jeweils Anderen, und dessen Bereitschaft, doch tatsächlich mit diesem nackigen, kleinen Ego Sex zu haben, hochzuziehen. Und in dieser Tatsache gleicht Tucker Max, und alle seine Klone, eben der neunzehnjährigen Stephanie aus seinem Buch, sie nutzen sich eben nur gegenseitig als Trophäen:
Stephanie had that type of body you see on the cover of Maxim, except she was that hot in real life and not just airbrushed hot. Granted, she threw up a lot of dinner for that body, but considering that I wasn't paying for her food, I didn't care.
Like most super hot girls, she was incredibly insecure. She wore too much make up and not enough clothes, which is always a sign of despair in a woman. But she went beyond the normal female do-these-pants-make-me-look-fat insecurity, which is manageable, and graduated to full on, I-am-so-ugly-and-worthless, I-hate-myself, please-fuck-me-so-I-can-feel-close-to-somebody insecurity. As a result of her severe and unquenchable insecurity, she was quite promiscous, to the point where dating her was similar to the experience of sitting on a warm toilet seat: Even without seeing him walk out of the stall, you knew that someone else had been there only moments before you arrived.“

Genau diese spießige, amerikanische Doppelmoral ist es, die ab der Mitte des Buches immer häufiger und klarer hervorsticht. Ein ganzes Kapitel widmet Tucker Max dem Gespräch mit einem Homosexuellen in einem Gay-Club, der ihn darauf aufmerksam macht, dass bei den hunderten von Frauen, mit denen er inzwischen Sex hatte, ja mit fast absoluter Sicherheit auch schon eine dabei war, die vor ihrer Operation noch ein Mann gewesen ist. Als Tucker dann ins Grübeln kommt und ihm Frauen einfallen, die einfach nicht feucht werden wollten, die beim Analverkehr nicht so eng waren wie andere Frauen oder die so gut blasen konnten, als wüssten sie aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, flippt er über fast zwei Seiten hinweg völlig aus. Der Gedanke eventuell mit einem 'Mann' Sex gehabt zu haben, wird von ihm als das Abartigste und Ekligste Empfunden, was man sich nur vorstellen kann. Und das, nachdem er bereits seiten- und kapitelweise ohne Probleme von nicht mehr zu haltendem Bier-Schiss, dem Schlafen in Hundescheiße und dem Ficken im eigenen Erbrochenen berichtet hatte. Willkommen im Gehirn eines durchgeknallten, amerikanischen Konservativen.

Ähnlich schlimm, oder mit anderen Worten schwul, ist der Gedanke der Tucker kommt, nachdem eine Bekannte vor ihrem Date mit einem anderen Typen, bei Tucker vorbeischaut, um ihm einen zu blasen. Nach kurzem Grübeln stolpert er über die Idee, dass er im Umkehrschluss ja sicher auch schon Frauen geküsst hat, die vorher, wenn nicht sogar am selben Tag, den Penis eines anderen Mannes im Mund hatten. Eine Welt bricht zusammen. Die Flagge wird auf Halbmast gesetzt.
Granted, I've done horrible stuff also, but anyone in the world can read this book and know what I've done. It's the not knowing that really messes with me. What fucks me up is to think that girls I'm casually dating are fucking around on me, and not even just on other days, but right before they see me. I don't really go on dates anymore since I learned that you don't need to spend money to get pussy, but when i did, I wonder how many girls came out with sperm breath? And how many of those did I kiss? And even now I wonder how many women have I met out at a bar who fucked a guy before going out, and then went home with me?“
Es ist eine kleine, fast kindlich naive, aber staubig-urkonservative Welt, in der Tucker Max denkt. Zum Glück liegt zwischen mir und dieser Welt ein Ozean.

Und gerade wenn man, gegen Ende des Buches, versucht ein wenig Frieden zu schießen, mit diesem seltsamen College-Boy, und versucht zu verdrängen, dass es auch in unseren Gefilden genug Idioten mit der gleichen wackeligen Doppel- und Sexual-Moral und dem gleichen piefigen Frauen- und Männer-Bild gibt, haut einem Tucker Max seine letzten Zeilen um die Ohren. In diesen beschreibt er sein eigenes System um Frauen zu kategorisieren. Wozu auch immer man das tun sollte, lasse ich mal dahingestellt. Jedenfalls endet sein Buch mit diesen gar lieblichen Worten, in denen er die 'niedrigste' Stufe seiner 'Frauenkategorien' beschreibt:
Other category: 0-star (aka, Wildebeast): The lowest of the low. A 1-star (common-stock-pig) with a terrible personality qualifies as a Wildebeast. They should all be put to sleep. This is that loud, disgusting fat girl in the bar that smokes, orders complicated drinks and then spill them on everyone, and is generally just so annoying that you have to actively restain yourself from kicking her in the crotch and stomping on her throat until she drowns on her own blood. There is no insult too mean or crude for her, and basic human rights do not apply to her“

Prost Mahlzeit. Selbst abzüglich der verkaufszahlen-fördernden Provokation und pseudo-witzigen Anti-Political-Correctness, ist dieses Menschenbild, und sind diese Gewaltfantasien, dann eben doch, um es mit Tuckers Lieblingstätigkeit zu beschreiben, zum Kotzen.

Schade, Tucker. Kurz fand ich dich echt sympathisch, aber irgendwie hast du Sache dann doch ziemlich verkackt. Oder doch verkotzt?


Elia


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