23. Juli 2013

Schwule Mädchen

„Boaisdie-sssschön!“ lallt mir Wing3 ins Ohr, während das kleine Mädchen mit der Flechtfrisur an uns vorbei aus der Bar geht. Er ist extrem betrunken und in diesem Zustand ziemlich schwer. Zumindest wenn er sich, wie jetzt, förmlich an meiner Schulter hochziehen muss um mir etwas zu sagen. „Ja ist sie. Aber die steht nicht auf Männer“ antworte ich, ohne mich zu ihm umzudrehen. Ich genieße den Anblick trotz besserem Wissen. Erst als sie zur Tür raus ist, drehe ich mich zu Wing3 der jetzt immer noch auf den Ausgang starrt. Ich versuche mich direkt an sein Großhirn zu wenden, indem ich mich in sein Blickfeld stelle und seinen Kopf mit beiden Händen fixiere. „Hey, Alter! Die steht auf Mädels, glaub's mir. Ich hab sie vorhin mit der kleinen Schwarzhaarigen draußen so diskutieren sehen, wie nur Pärchen diskutieren. Sie ist lesbisch! Auch wenn sie Stress mit ihrem Girlfriend hat, wird sie wohl kaum heute Nacht ihre sexuelle Orientierung überdenken“. Ich sehe in seine glasigen Augen. Die Worte scheinen grundsätzlich angekommen zu sein. Sie müssen aber irgendwo zwischen seinem Innenohr und seinem Hirn Pause gemacht haben, denn es ist keinerlei Reaktion in seinem Gesicht zu erkennen. Er sieht auf diese komische Art verliebt durch mich hindurch, auf die nur Betrunkene verliebt sein können, und auch die nur für den kurzen Moment für den sie glauben zu wissen, dass dieses eine Mädchen, genau heute Nacht, genau jetzt, an ihnen vorbeigelaufen ist, weil sie es ist, die Eine.



Der Abend hatte sehr ruhig begonnen. Ich hatte mich mit Wing1 in der Stammbar verabredet und gelangweilt ein paar Bier getrunken, bis uns besagtes Mädchen auffiel. Sie entsprach äußerlich so exakt meinem Beuteschema, dass wir nichts sagen mussten und trotzdem sofort beide wussten, was Phase war. Sie stand draussen vor der Bar und gestikulierte wild. Aus der Bar heraus konnten wir weder hören, was sie sagte, noch sehen mit wem sie so aufgebracht diskutierte. Erst als die beiden Streithähne schweigend hintereinander in die Bar zurück trotteten, sahen wir das zweite Mädchen. Sie war im gleichen Alter und fast genauso hübsch, wie ihre Freundin. Ich kann nicht genau sagen, ob es nur die Art war, wie die beiden miteinander stritten, oder noch andere Indizien dazu kamen, jedenfalls schlug mein Lesben-Radar deutlich aus. Ich benötigte ein Frust-Bier, um wieder woandershin sehen zu können. Wir saßen noch eine ganze Weile an der Bar, bis Wing1 sich verabschiedete, um in den Absturzclub weiterzuziehen. Fast zeitgleich erschien Wing3, merklich vorbetankt wie immer. Ich machte mit ihm also direkt da weiter, wo ich mit Wing1 aufgehört hatte. Ich musste aber schon nach kurzer Zeit feststellen, dass er in einem noch verheerenderen Zustand war, als ich angenommen hatte. Er hatte sich offensichtlich bereits über den „Talky-Mode“, wie ich ihn nenne, hinübergetrunken und war in der Phase angekommen, in der die meisten eher still werden und auf ihr Bier starren. Dann kam Sie.
Sie lief an uns vorbei und Wing3 fuhr hoch, wie ein Junkie, dem der Notarzt die reanimierende Ladung Adrenalin gespritzt hat. Er war plötzlich wieder voll da.

Wäre ich mir nicht so verdammt sicher gewesen, hätte ich ihn natürlich niemals zurückgehalten. Der Mann war im perfekten Zustand um alles und jeden anzusprechen, solange er sich dabei nur irgendwo hätte festhalten können. Aber aus meinem Blickwinkel hatte ich die Schönheit auch schon eine ganze Weile dabei beobachtet, wie sie sich mit ihrer Begleitung wieder versöhnt hatte und war mir einfach zu sicher, dass er ohne Geschlechtsumwandlung bei ihr heute Abend keine Chance haben würde. Letztendlich war es aber auch ganz egal, denn seit er sie gesehen hatte, kam bei meinem lieben Bargenossen sowieso nichts von all dem mehr an, was ich zu sagen hatte. Ich redete also noch eine knappe viertel Stunde mit seinem Gesicht und trank mein Bier aus. Dann ging ich kurz zur Toilette. Ich hätte wissen müssen, was nun kam.

Als ich zurückkehrte, war der Barhocker, auf dem Wing3 gerade noch gesessen hatte verlassen. Ich ließ meinen Blick kurz durch den Raum wandern und entdeckte ihn schließlich. Er saß zwischen(!) den beiden Mädels und redete unter seinen halb geschlossenen Augenliedern hindurch mit der hübscheren von beiden. „Oh, well...“ dachte ich mir und gesellte mich kommentarlos zu dem seltsamen Trio. Als ich mich gerade setzte, blickte Wing3 kurz hilflos zu mir hoch und ich hörte, wie die hübsche Kleine ihm gerade, mit der sanften Betonung einer Kindergärtnerin, erklärte „Yes, but as i told you allready, we are lesbians“. Ich war zu gespannt auf den Fortgang dieser Unterhaltung, um irgendetwas sagen zu können. Ich nickte den beiden Mädels freundlich zu und wartete darauf, dass Wing3 etwas sagen würde, aber der starrte mich nur ausdruckslos und traurig an. Nach einer Pause, die mir endlos erschien, drehte er sich langsam wieder zu seiner Traumfrau um, und antwortete „Yea, ok.... Ok. But... Ähm... But, what about a threesome?“.

Ich konnte es selbst kaum glauben, und dem Ausdruck in ihrem Gesicht nach, musste auch das Mädel erst kurz überlegen, ob sie sich vielleicht verhört hatte. Ich war fast ein wenig stolz auf Wing3. Er hatte es in seinem Suff-Hirn doch tatsächlich geschafft, noch einen letzten Funken Hoffnung, einen letzten kleinen Weg zu finden, um vielleicht doch noch Sex mit einer Frau haben zu können, die ihm gerade erklärt hatte, dass er zwischen ihr und ihrer Lebensgefährtin saß. Fast mittleidig legte sie ihren Kopf etwas schräg, bevor sie ihm antwortete „No. No, i'm sorry. No threesomes“. Man konnte fast hören, wie ein Trinkerherz brach und ein weiterer großer Traum der Menschheit beerdigt wurde. Es folgte ein geradezu andächtiger Moment der Ruhe zwischen den Dreien. Wing3 brauchte ein paar Sekunden um zu trauern und die Mädels suchten den Raum wahrscheinlich insgeheim nach versteckten Kameras ab. Ich entschloss mich, diesem zwischenmenschlichen Drama einen Ausweg zu bieten. „Hi, i'm Elia“ stellte ich mich vor. So was wie Erleichterung machte sich bei den Mädels breit, während Wing3, immer noch in sich zusammengesunken da saß. Mit ihm war für heute wohl nicht mehr zu rechnen, und so begann ich ein wenig Smalltalk um von der menschlichen Tragödie unter uns abzulenken.

Es stellte sich schnell heraus, dass die hübschere von beiden zufällig den gleichen Job hatte wie ich, und so entstand blitzschnell eine sehr angeregte Unterhaltung, wenn auch über ihre Freundin und die Reste meines Freundes hinweg. Wing3 sagte nicht nur nichts mehr, er bewegte sich auch nicht mehr, seit er erfahren hatte, dass es heute keinen Sex mehr geben würde. Wozu auch?
Nachdem ich mich eine ganze Zeit sehr gut mit den Mädels unterhalten hatte, stand er dann aber urplötzlich doch ganz langsam auf. Wie ein Zombie oder ein Narkosepatient machte er vier Schritte von uns weg, und ließ sich zwei Meter weiter erschöpft auf eine Bank fallen. Er lehnte seinen Kopf gegen die Wand und schloss die Augen. Wir betrachteten das Schauspiel alle kurz und setzten dann unsere Unterhaltung fort. Ich setzte mich jetzt zwischen die Beiden, da keine von ihnen Anstalten machte, aufzurutschen. Nach einer halben Stunde fragten wir etwas besorgt bei Wing3 nach, ob er sich nicht doch wieder zu uns setzen wolle. Er öffnete kurz die Augen, aber verneinte. Stattdessen stand er zwei Minuten später auf, verabschiedete sich kurz (bei mir, nicht bei den Mädels) und ging nachhause. Er wirkte gebrochen. Also deutlich gebrochener als sonst. Er hatte mutig und hoch gepokert und war mit all der Euphorie, mit all dem Endorphin, und Adrenalin, und was sein kleiner Körper sonst noch so produziert hatte, und mit ganz viel Anlauf gegen eine regenbogenfarbene Wand gerannt. Ich blickte ihm noch kurz nach, dann setzte ich mein Gespräch fort. Die beiden waren tatsächlich ziemlich witzig, und ich konnte mit der Hübscheren endlos über unseren Job philosophieren.

Es war der Höhepunkt unseres Gespräches, ich war gerade richtig in Fahrt und gestikulierte wild, als mir auffiel, dass die zwei Mädels mich gar nicht mehr ansahen, während ich meinen Vortrag hielt. Stattdessen blickten sie beide auf meine Hand, oder besser gesagt, auf meinen Ärmel, oder noch besser gesagt, auf das Kabel, das aus meinem Jackenärmel hing und an dessen Ende dieses kleine Mikrofon baumelte und durch die Luft wirbelte, während ich sprach.
Hupsi!... Das Teil hatte ich ja völlig vergessen! Und jetzt starrten wir es alle drei an....
Ich überlegte kurz, nahm dann das Mikrofon und klemmte es einfach kommentarlos wieder an meinen Jackenärmel. Dann sprach ich weiter, als wäre nichts gewesen. Zu meiner Überraschung reagierten die Mädels kein bisschen und fragten auch nicht nach. „Eigentlich auch logisch“ dachte ich mir erleichtert „wer würde auch auf die Idee kommen, dass ein Typ nachts in einer Bar seine Gespräche mit einem Mikrofon im Ärmel mitschneidet. Welcher Vollpsycho würde denn so eine Scheiße machen?“

Es wurde noch ein sehr langes und lustiges Gespräch, an dessen Ende wir Nummern und Mailadressen tauschten, da die Kleine mir unbedingt Arbeiten von sich schicken wollte. Aus 'PUA-Sicht' hatte ich voll versagt und die halbe Nacht mit zwei Lesben verplempert. Als Nice-Guy verstehe mich aber logischerweise auch einfach zu gut mit schwulen Mädchen. Wir verabschiedeten uns und ich zog weiter in den Absturzclub.



Ich habe mir gerade nochmal schnell einige Stellen meiner Aufnahme aus dieser Nacht angehört. Inzwischen kann ich das sogar fast ohne aus dem Zimmer gehen zu wollen. Erstaunlicherweise war es gar nicht so spät, als ich in den Absturzclub ging und ich hatte dort noch einige Stunden reichlich Spaß (auch wenn ich mich nicht an jedes Gespräch erinnern konnte). Ich flirtete lange mit einem Mädel am Eingang, traf Wing1 wieder, flirtete mit einer großen Blonden, die ich eigentlich für ihn anquatschen sollte (ich Kameradenschwein) und betrank mich zu guter Letzt mit BALU an der Bar. Alles in allem ein sehr lustiger Abend. Trotzdem war das Gespräch mit der hübschen, lesbischen Kollegin für mich der beste Teil. Wir haben uns noch ein paar Mal geschrieben, und sie ist wirklich gut in ihren Job. Vielleicht sieht man sich ja auch demnächst mal wieder in der Stammbar und führt ein gutes Gespräch. Ganz ohne Reinstecken.

Wie immer.



Elia


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